SEPTEMBER 1992 - Urlaub in Beloretshensk -

Die "Wende" vor zwei Jahren hat auch auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR viele Veränderungen gebracht . Vom Erzählen wusste ich dass uns einige Überraschungen erwarteten . Angefangen von Überfällen auf offener Straße bis zur totalen Anarchie waren wir auf alles gefasst. Deshalb willigten wir auch ein als uns Ludmilla bat mit einem Bekannten von ihr gemeinsam , also mit zwei Autos die Reise bis Kremenshug zu machen . Die Abfertigung in Frankfurt / Oder ohne Zeitverzug hinter uns trafen wir den Begleiter pünktlich mit seinem französischem Auto hinter der Grenze in Polen . Wir einigten uns auf eine Fahrstrecke die es uns ermöglichte Ushgorod bei Lwow in der Ukraine zu passieren . Zwei mal in Polen für DM getankt , der Liter eine Mark , kein Problem.

Im Februar 92 hatte ich einen FORT Granada (Kombi) für 1200,-DM von einem Arbeitskollegen gekauft . Sofort abgemeldet stellte ich ihn in der Garage ab . Er war für den Bruder meiner Frau bestimmt und sollte uns die Hinreise erleichtern . Ein Jahr zuvor war die Schwester meiner Frau mit ihrem Lebensgefährten bei uns zu Gast und hatte von uns einen BMW 318 erhalten . Um den Wagen umgeschrieben zu bekommen bestanden wir darauf , dass der Bruder uns besucht . Bis August stand noch nicht fest ob und wann er kommt . Als das lang ersehnte Telegramm kam war es so unverständlich , so dass wir drei mal in der Nacht in Frankfurt / O auf dem Bahnhof standen . Anatoli war glücklich uns zu sehen , denn er hatte Vieles durchmachen müssen bis er Visum und Fahrkarte zusammen hatte .

Ausreisende Juden und Wolgadeutsche blockieren die Deutsche Botschaft . Um seinen Platz in der Reihe nicht zu verlieren musste er eine Woche im Freien nächtigen , dazu noch mal zwei Tage auf eine Fahrkarte warten . Er verlor einige Kg und dachte so manches mal dran aufzugeben. Dass er es nicht tat liegt daran , weil Valentina geschrieben hatte , wir würden nicht zu Besuch kommen ohne das Auto , das gleich auf den neuen Besitzer umgemeldet werden musste . Wir gaben uns Mühe Tolik den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen . Ich nahm Urlaub und wir fuhren Einkaufen , Stadt besichtigen und Auto um ,- und anmelden . Schwierig wurde es den Wagen für die Überführung zu versichern , denn keine Versicherung wollte mit uns abschlissen . Nach langem hin und her klappte es doch noch bei der Alianz . Ljuba hatte in Briefen um einige Ersatzteile gebeten für ihren BMW, die wir bei einer Schrottverwertung in W.-Berlin besogten . Ein Tag vor unserer Abreise wollte Tolik mal "probefahren" . Nach dem ich ihm alles erklärt hatte fuhr er mit mir durch das Nachbargrundstück , durch zwei Zäune und über drei Tannenbäumchen. Otto half uns den Zaun zu reparieren , die Tannen wieder aufzurichten und die Spuren zu beseitigen . Kotflügel , Stossstange verbogen , beide Scheinwerfergläser defekt . Nach dem die Ordnung beim Nachbarn wieder hergestellt war , fuhren wir sofort los um die Scheinwerfer zu kaufen. Gegen Abend kehrten wir Heim und "beichteten" Valentiena die Sache . Sonnabend kam dann der Nachbar zu seinem Grundstück raus und war ganz erstaunt , denn er hatte noch nichts bemerkt . Diese Hürde hatten wir also genommen, nun wurde gepackt, im Auto verstaut, nachgedacht und besprochen wann wir losfahren.

Eine Einladung hatte ich nicht, denn die sollte es angeblich an der Grenze gegen DM oder Dollars geben. Wenn ich zum Konsulat gehe müsste ich eigentlich auch die Einreise bekommen und kann mich noch mal erkundigen wie die Einreise mit Auto läuft. Visafragen in Westberlin, Adresse hatte ich, also brauchte ich nur noch meinen Reisepass. Morgens fing ich an zu suchen und gegen 11 Uhr hatte ich ihn gefunden. Bis 13 Uhr war die Visastelle offen, also los. Weil ich nicht die genaue Adresse kannte war ich erst gegen 13 Uhr dort vor verschlossener Tür. Es handelte sich um eine alte Villa in einer verträumten Nebenstrasse in relativ feiner Gegend. Ein Metallgitterzaun, Wechselsprechanlage, spielende Kinder weiter hinten zu sehen. Was nun ? Erst mal die Sprechanlage gedrückt. Ein knarrender Brummton zeigte mir dass sie schon sehr alt sein musste. Die Zeit verging und Niemand reagierte auf mich. Ich wollte schon die spielenden Kinder rufen und mir war klar, dass ich heute "verspielt" hatte.

Dann endlich antwortete eine weibliche Stimme in gebrochenem deutsch und fragte was ich noch wolle. Ich sagte ihr worum es mir ging. Fahren sie nach Bonn .... usw.. Ich fragte in russisch weiter, ob ich wenigstens Auskunft bekomme. Bald war klar, ohne beglaubigte Einladung könne ich nicht nach Russland einreisen. Nur in die Ukraine kann ich ohne Visum rein, werde an der Grenze abkassiert. Damit hatten wir nicht gerechnet. Aber der Abfahrtstermin stand fest und wenn wir nicht irgendwo "auffallen" sollten, kann nichts schief gehen. Unsere Freundin Ludmilla bat uns die Fahrt bis Kremenshug mit einem jungen Mann gemeinsam zu machen. Wir trafen uns mit ihm und verabredeten uns an der Grenze in Polen. Er rechnete mit Problemen auf der Hinfahrt mit Wegelagerern und Überfällen. Wenn wir gewusst hätten, wie uns dieses Anhängsel aufgehalten hat, wären wir allein gefahren. Irgendwo hinter Konin in Polen fuhren wir südlicher dem Grenzkontrollpunkt Ushgorod entgegen. Die Heckklappe musste geöffnet werden, dann zahlte ich 55 Dollar und bekam das Visum für die Ukraine in den Pass gestempelt. Noch ein paar Meter weiter und wir waren durch.

Unbeschreiblich der erste Eindruck, denn ich wollte dieses mal die Auswirkung der Peristreuka und dem Zerfall der UdSSR für mich selber analysieren. Viele Einzelheiten wusste ich von Bekannten und Verwanden. Auf Äußerlichkeiten hatten wir auch früher nicht so sehr geachtet. Die besondere Sensibilisierung machte uns betroffener, als erwartet. Massen von wartenden Menschen mit Autos und Autobussen, auf der Strasse Dreck, Steine, Betonbrocken, Papierfetzen, Schlaglöcher, Tumult, keine Straßenbeleuchtung, eine Menschenmenge jeglicher Hautfarbe, die hin und herliefen.