Wer weiß, wie der Eine oder Andere Deutsche unter diesen Lebensbedingungen klar kommen würde. Wenn auch jedes dritte Wort bei den Männern ein Schimpfwort war, so konnte ich mich sehr oft davon überzeugen wie praktisch sie veranlagt sind. Sie wissen sich immer zu helfen. Neben der Fernstraße habe ich oft einen Kraftfahrer gesehen, der reparierte. Auf einem großen Stück Stoff lagen irgendwelche Teile, an denen er emsig werkelte und das Fahrzeug wieder flott bekam, zumindest die nächsten 80 km bis zur nächsten Stadt. Es hatte für ihn auch keinen Sinn auf Hilfe vom Betrieb zu warten. Heute nach fast 20 Jahren, wo alles "Defizit" ist, da hat sich nicht sehr viel geändert. Echt gestaunt habe ich über die Maurerbrigaden und dem Straßenbau, - alles Frauen. Ein Mann höchstens als "Natschalnik" mit einem Zollstock in der Hand, nachprüfend, oder als Fahrer der großen Walze. Da frage ich mich, was währe die große Sowjetunion ohne ihre fleißigen Frauen, die wirklich hart arbeiten müssen?

Wenn abends die Trassenbauer zum Tanz in den Gaststätten der Stadt erschienen, dann waren sie ohne Zweifel gegenüber den Einheimischen im Vorteil. Tasche voller Geld. So viel hatte manch Familienvater nicht zur Verfügung. Das zog nicht nur die "schlechten" Mädchen an. Dazu kamen gute Manieren, bei den Meisten jedenfalls, mit Dame vom Platz holen. Tänzchen machen, dann Dame zurückbringen, am Platz Stuhl unterschieben, spasibo ..(!) , ganz artig. Das machte Eindruck, kam gut an, brachte Punkte und wurde in hartnäckigen Fällen in selbiger Nacht "belohnt". Auch sprach sich bei den Damen herum "deutscher Mann, guter Mann .....(schmales Kreuz, aber so einen Riemen ...)"! Dadurch war der Ärger vorprogrammiert. Es gab nicht nur Schupsereien und Handgemenge, auf die ich nicht weiter eingehen möchte. Es war nicht zu empfehlen, sich mit Bart und ohne Kopfbedeckung im Winter als Deutscher sofort identifiziert, wegen Feuer für eine Zigarette anquatschen zu lassen. Im Dunklen bei einer Gruppe Russen schon gar nicht, das roch schon nach Krankenhaus. Mir ist aber nie etwas Ernstes passiert, denn ich habe bedrohliche Dinge nicht als Herausforderung gesehen, sondern wartete stets ab bis einer Konfrontation nicht mehr auszuweichen war. Schlimm sah es aus wenn die Miliz bei einer Prügelei dazwischen ging. Da blieb kein Auge trocken.

In den 80`ziger Jahren, als Breschnjew in Moskau den Ton angab und der Wodka noch nicht limitiert wurde, da war was los in Kremenshug am Zahltag der Arbeiter vom KRAS - Werk. Es war dann besser noch vorsichtiger als sonst zu fahren um keinen Angetrunkenen zu überfahren. Aus meinen Ausführungen ersieht man, dass ich mich schon an Vieles gewöhnt hatte. Alle 3 Monate hatten wir 4 bis 5 Wochen Urlaub in der Heimat. Die Zeit wurde durch die täglichen 10 Std. und dem Sonnabend vorgearbeitet. In Berlin Schönefeld gelandet fühlte ich mich "Super" in der vertrauten Umgebung. Das Wiedersehen mit Eltern und meinen Kindern tat gut und dann die Kumpels besuchen. Es war schon etwas Besonderes, an dem ich mitarbeiten durfte. Andere Trassenbauer hatten "wilde Geschichten" erzählt und es fiel auch mir nicht schwer ein paar spannende Episoden "rauszulassen".

Ich genoss es Klub-Cola trinken und frische Brötchen essen zu können, das gab es auf der Baustelle nicht. Muss aber zugeben, dass die Essenversorgung ansonsten Klasse war. Die leitenden Köche lieferten hohe Qualität, Einfallsreichtum mit dem Vorhandenem und Lieferbaren zeichnete sie aus. Ich hörte, dass sich Leute darunter befanden, die in sogenannten Interhotels gearbeitet hatten. Aber zu Hause bei "Muttern", das war halt was Anderes. In der Heimat hatte ich bald wieder Fernweh und Sehnsucht nach meine Valja. Ich hatte den Eindruck, dass es ihr ähnlich ging. Das war dann der Zeitpunkt, wo ich sie fragte, ob sie mich heiraten würde. Wenn wir in Zukunft zusammen bleiben wollten, dann war es nötig. Es gab keine andere Möglichkeit sie mitzunehmen in die DDR.

Gründe dort zu bleiben gab es für mich nur wenige und ich habe das an anderer Stelle umfassend behandelt. Sie wollte mich heiraten, so war ihre eindeutige Antwort und wir bekamen immer mehr Schwierigkeiten bei der Beschaffung der dazu nötigen Papiere. Die Trauung konnte nur in der Sowjetunion, in Kremenshug stattfinden. Wir waren am Standort das fünfte Paar. Gefeiert wurde in der kleinen Bootshalle, das ist eine Baracke, die wie eine Ziehharmonika zum Transport zusammen geschoben werden konnte, für Polterabend und Hochzeitsfeier ganz ideal. So um die 2500,-Mark legte ich für Schnaps, Likör, Essen und kaltes Büfett auf den Tisch. Ich glaube es konnte Keiner meckern. Ein paar Vorgesetzte, aber nicht von meiner Abteilung, mussten sich auch noch ein paar Flaschen Wodka in die Tasche stecken. Na ja,- was soll’s, dafür verdienten sie ja auch nur einige Hundert Mark mehr im Monat als ich. Mir war es egal. Hatte Jedem, der kam zugeprostet und versucht dabei so wenig wie möglich zu trinken. Den Schlüssel von der Halle gab ich "Einfallespinsel" einem meiner Kollegen. Es war so viel Essen und Trinken übrig geblieben, das sollte am nächsten Tag mit dem Leiter der Versorgung zurückgerechnet werden. Als ich dann am nächsten Vormittag an der Halle erschien, waren meine Kollegen "blau wie die Feilchen".

Ich setzte mich dazu und "ab ging die Post". Wir waren unter uns und wahnsinnig komisch fanden wir, wie die Nadel vom Plattenspieler umhersprang, wenn wir auf dem Dielenboden beim Tanz "rumhotteten". Alles war prima gelaufen. Die Kollegen von der Versorgung hatten sehr gute Arbeit geliefert. Mir tat kein Pfennig leid.

Mit der Perestroika kam die Wende - mit der Wende ging das sozialistische Lager flöten. Mit dem Untergang der DDR ging die UdSSR unter und ein Votka vernebelter hat sich mit seiner Klicke die Taschen gefüllt und Russland zu einem bedeutungslosem Staat gemacht. Fährt man nach Russland, dann kann man sich von seinem Reisegeld verabschieden, weil es nur noch zum Schmieren für die Milizionäre dienen wird.