Im Asylheim als Sozialarbeiter im Frühjahr und Sommer 94 ... wie lange noch ?

In der Überschrift steckt Aussage und Zweifel, gehen die erlebten Ereignisse mit den gemachten Erfahrungen einher. Ohne langwierige Einleitung und Beschreibung besteht die Gefahr, dass ich total missverstanden werde ,- aber vielleicht habe ich die Situation der ausländischen Asylbewerber missverstanden? Um ohne Vorbehalt etwas zu erzählen muss ich mir viel Zeit nehmen zum erzählen. Beginne mal mit der Frage :"Wer ist mir bisher als Asylbewerber begegnet?". Das sind überwiegend Rumänen im Alter von 20 bis 40 Jahren. Junge Männer, die meist über Polen kommen, die Grenze nach Deutschland illegal passieren, von Schleppern organisiert und instruiert. Ausweispapiere zu 90% auf der Flucht verloren (?) , teilweise schon mal abgeschoben, nun mit neuem Namen, auf dem Weg nach Holland hier Zwischenstation machend. Zu dieser Meinung bin ich gekommen nach ein paar Monaten, in denen ich zum Teil sehr guten Kontakt zu Rumänen hatte. Es sind vor allem wirtschaftliche Gründe, weshalb sie um Asyl bitten. Ohne Zweifel werden vor allem Zigeuner von der Polizei verfolgt, geschlagen und sind in allen Lebenslagen stark benachteiligt. Mit dem Sturz des Diktators Ceausescu und unter Iliescu haben sich die Lebensbedingungen eigentlich nur verschlechtert. Versorgungsengpässe, dadurch Korruption und Verbrechen vorprogrammiert können nicht mehr bekämpft werden, weil der Staat selber Urheber und Geldschneider geworden ist. Solch eine Aussage ist hart, aber die Menschen dort sind in ihrem Existenzkampf viel mehr gefordert als in anderen Ländern. Wen wundert es dass dann bei uns Diebstahl und Betrug von ihnen begangen wird. Bei so vielen Möglichkeiten, die sich ihnen bieten und zu mal sich Einheimische mit beteiligen, in dem sie Geschäfte mit ihnen machen. Arbeit ist für einen Asylbewerber von einer Genehmigung abhängig, die nur sehr selten erteilt wird. Essen, Trinken, Unterkunft sind kostenlos.

Das Taschengeld von 20,-DM reicht nicht mal für den Zigarettenkonsum, für Bier und Schnaps reicht es auch nicht. Die vorwiegend jungen kräftigen Männer wissen nicht wo hin mit ihrer Energie. 80 Stunden im Monat kann jeder gemeinnützliche Arbeit verrichten, die Stunde wurde vergütet mit 2,-DM. Dieses Angebot lehnen viele ab und versuchen irgendwo Arbeit zu bekommen. Im Kuhstall morgens und abends jeweils 4 Stunden für insgesamt 25,-DM am Tag, oder in einer Reparaturwerkstatt, auf dem Bau oder auf dem Fruchthof. Die Gefahr entdeckt und als Schwarzarbeiter überführt zu werden ist groß. Da ist es doch bequemer in einer Bande mit Einbrüchen zu Geld zu kommen, anderen Leuten in die Tasche zu fassen. Schlimm ist auch der lange Aufenthalt für Asylbewerber aus Afrika, China, Vietnam und Indien, denn da treffen Welten auf einander. Nicht der Umgang miteinander ist das Problem, sondern die unterschiedlichen Essgewohnheiten. Sich anpassen wollen und können die Wenigsten.

Afrikanische Moslem haben außerdem immer das Misstrauen, ob wohl doch Schweinefleisch in der Wurst ist. Der Bierkonsum macht weniger Schwierigkeiten, obwohl Alkohol genauso streng verboten ist. Alle Ausländer, wie ich bemerkte redeten wenn sie einander absolut nicht verstehen konnten in deutscher Sprache und reden sich gegenseitig mit "Kollege" an. Obwohl es Ähnlichkeiten gibt, verstanden sich Vietnamesen und Chinesen nicht besonders gut. Englisch ist neben Russisch mit die wichtigste Sprache. Bei ernsthaften Problemen ist ohne Dolmetscher nichts zu machen. In Abschiebehaft ein Neger aus Portugal hatte Schwierigkeiten mit seinen Papieren. Wie auch andere kam er als Moslem mit dem Essen nur schwer klar. Durch seinen Zigarettenkonsum und die vielen Telephongespräche hatte er nie Geld. Er borgte sich oft auch von mir Geld und zahlte es dann am Sozialhilfegeldtag zurück. Er wurde dann nach fast sechs Wochen in der Nacht abgeschoben. Mein Geld konnte ich, so wie die anderen Gläubiger, vergessen. Enttäuscht hat mich dann aber, als ich erfuhr, dass er sich hat fünfhundert Mark an der Kasse hat wechseln lassen. 12,50DM ist kein großer Betrag, doch wo anders stand er auch in der Kreide. Zum Problem wird es, wenn die Abschiebekandidaten, die nur für ein paar Tage hier sind, um Geld fürs Telephon und um ein paar Zigaretten betteln. So etwas wird dann zu teuer und man kann den Beschwörungen, dass sie es gleich Montag wieder zurückzahlen, nicht glauben.

Ein bisschen Hornhaut auf der Seele kann nichts schaden, denn die eigenen Landsleute (speziell Rumänen) kümmert es ja auch nicht. Lassen wir die Kleinigkeiten, kommen wir zu den echt hartgesottenen Typen aus der Abschiebehaft. Dazu muss ich unbedingt erwähnen, dass diese Abschiebehäftlinge bis 20/oo Uhr auf unserem Territorium frei bewegen können. Der Zaun mit dem Nato-Stacheldraht soll mehr vor Eindringlingen mit Glatze schützen. Für die zu meist jungen Burschen stellt er kein Problem dar. Sogar Leute mit viel Gepäck haben keine Mühe. Sie lassen sich ihre Sachen von Asylbewerbern rausbringen und werden oft von ihren Bekannten, die sie vorher telephonisch herbestellt haben, abgeholt. Erst am Abend, wenn das Haus verschlossen wird und die "Kollegen" gezählt werden, fällt auf, dass wieder ein paar Häftlinge fehlen. Ein Asabaidshaner war nur drei Tage auf freiem Fuß, wurde mit gestohlenem Auto betrunken aufgegriffen, zurückgebracht. Er hat sich ausgeschlafen, gut gegessen und ist zwei Tage später wieder weg. Das ist nicht schwer, wenn man sogar sein Geld ausgehändigt bekommt. Man bestellt sich seine Kumpels her und ist auf und davon. Bei den Asylbewerbern die ich kennen gelernt habe kamen die meisten aus Rumänien mit festen Vorstellungen, was sie hier in den ihnen zur Verfügung stehenden Zeit anstellen werden. Die meist sechs Wochen reichen zum "einkleiden" beim Roten Kreutz, ein altes Auto, Rundfunk ,-und Fernsehgeräte, Teppiche und alles Mögliche aus dem Müllcontainer. Falls jemand arbeitet und es lohnt sich, dann gehen sie weg aus dem Asylheim und kommen irgendwann als Abschiebehäftlinge zurück.

Das hört sich alles ziemlich trostlos an, hat aber seinen festen Stellenwert bei den Rumänen. Wer verhindern möchte, dass dieser "Asylmissbrauch" nicht so weiter geht, der muss sich zu mindest fragen, wie er handeln würde. Chinesen sind nach auch von Abschiebung bedroht, werden aber oft "geduldet", weil die politische Situation sie in Lebensgefahr bringt. Vietnamesen habe ich viele kennen gelernt. Sie halten sich mit Vorliebe außerhalb des Asylheimes, zumeist bei Verwandten auf. Da leben viele Menschen auf kleinen Raum. Sie gehen arbeiten, verkaufen steuerfreie Zigaretten, stehen immer unter Druck, von der Polizei gefasst zu werden. Ein Zigarettenhändler hat bis zu 150,-DM am Tag, doch genau so kann er seine Zigaretten und das Geld loswerden, wenn er gefasst wird. An Hand seines Ausweises wird festgestellt, dass er z.B. bei uns im Asylheim gemeldet ist. Es halten zwei Kleintransporter vor dem Heim. Heraus kommen drei Polizisten und eine Polizistin. Teils in Uniform, teils in Zivil, mit einem Schäferhund und ein vietnamesischer Asylbewerber wird mit Handschellen mitgeführt. Nach kurzer, knapper Begrüßung werde ich aufgefordert das Zimmer zu zeigen, in welchem der mitgebrachte Vietnamese untergebracht ist. Kein Problem, denn dieses Zimmer ist leer, unbewohnt.

Nur zu den "Behördentagen" kommt es vor, dass mal jemand übernachtet. Der Hund darf schnüffeln, die Transporter bleiben leer. Der Hund nimmt wieder Platz, ab geht die Fuhre. Zurück bleibt ein etwas verstörter Vietnamese, dem sogar die Tränen über die Wangen gekullert waren. Ich nahm ihn mit in mein Büro und zeigte ihm durch das Fenster, wie die Polizei abfuhr. Ich machte ihm klar, dass "die Nummer gelaufen war". Er setzte sich hin und fing bald an zu schmunzeln. Dann erzählte er mir wo und wie er gefasst wurde. Als nächstes beklagte er sich, dass er den ganzen Tag gefesselt und ohne Essen war. Das konnte sofort behoben werden. Zum Feierabend nahm ich ihn dann mit zur nächsten S-Bahn Station mit. Einen bleibenden Eindruck hat ein Usbeke gemacht, den möchte ich gern weiter geben.

Er spazierte in mein Büro und wir unterhielten uns. Er wurde als Abschiebehäftling gebracht. Sah aus wie ein Indianer, hatte dunkle, fröhliche Augen, langes Haar zum Pferdeschwanz geformt. In etwas gammligen Jeansklamotten. Wenig deutsch verstehend, besser englisch, etwas französisch, aber perfekt russisch und somit war für uns beide der Kreis geschlossen. Seit etwa einem Jahr in Europa unterwegs, ohne Geld, ohne Pass, ohne Visa, keine Ahnung was ihn erwartete. Eigentlich ist er zu Hause vor der Konsequenz eines Verkehrsunfalls geflüchtet. Mit seinen ca. 25 Jahren hat er außer Deutschland, Holland, Dänemark, Frankreich und Österreich gesehen ,- nicht gerechnet die ganzen Republiken der ehem. UdSSR auf dem Weg hier her, gesehen und da er seine Reise ohne Geld, ohne Papiere unternahm, hat er sie noch ganz anders erlebt. Asyl hat er in Frankreich und in Deutschland beantragt. Er wurde in Frankreich von der Polizei geschnappt und dort wurde er für vier Monate eingesperrt, so sagte er, weil er ohne Papiere eingereist ist. Anschließend schickte man ihn nach Marce (Hafenstadt). Dort hat es ihm gut gefallen, denn dort traf er viele Russen. Essen, trinken von den Hilfsorganisationen, wie bei uns z.B. Rotes Kreuz, Kleiderspenden usw.. Er sprach darüber mit einer Selbstverständlichkeit, die mich schon etwas verblüffte. Ich fragte ihn, wie oft er schon und wo er bisher Asyl beantragt habe. Überall wo er bisher war, das heißt in jedem Land. Es wurde ihm immer versagt. Auf meine Frage, ob es ihm nicht peinlich, oder für ihm beleidigend gewesen währe. Er meinte, dass es für ihn schwer gewesen währe, wenn er ernsthaft um Asyl gebeten hätte. Er wollte aber nur Land und Leute kennen lernen und das ist ihm überall gelungen. Dabei war er an den original Schauplätzen , wo seine Romanhelden agierten, der Bücher ,die er als Kind verschlungen hat. Wie der Graf von Monte Cristo usw.. Er schilderte alles mit einem Eifer und Stolz, weil das was er dort gesehen hat ihm Niemand mehr wegnehmen kann.

Unser Gespräch fand in einer "entwaffnenden" Offenheit statt. Schonungslos erzählte er von den Dingen für die er sich schämt. Immer wenn Alkohol mit im Spiel war, dann erwischte es ihn aber auch richtig. Der Grund, weshalb er von zu Hause weg ist, hängt auch mit solch einer Tat zusammen. Bei einem Saufgelage war er der Meinung, dass er neuen Alkohol besorgen könne. Mit einem Lastwagen, mit Ammoniakbehälter hinten drauf fuhr er betrunken los, schaffte nicht mehr die nächste Kurve in einem Dorf, konnte einigen Kindern ausweichen, landete in einem Vorgarten, wo er Schäden am Fahrzeug und am Haus anrichtete. Dann Fahrerflucht, das Fahrzeug wieder an seinen Platz gestellt und den Dummen gespielt. Als die Situation sich zuspitzte flüchtete er, flüchtete und immer wieder weiter bis hier. Hier hat er im Vollrausch einen 500`ter Mercedes und einige geparkte Autos zu Klump gefahren. Schaden über 70ooo,-M. ein halbes Jahr Gefängnis und nun fand er sich hier in der Abschiebehaft wieder.

Aber schon nach zwei Tagen sprang er über den Zaun und ist wieder "auf Tour" und an mag über mich denken was man will, ich wünsche ihm Glück und eine Heimkehr mit "heiler Haut". Rumänen und Rumänen sind nach meiner nicht maßgebenden Auffassung oft Zweierlei, - also oft zwei völlig verschiedene Dinge. Eine der öfter anzutreffenden Ausnahmen ist Nico Carbunescu. Er machte sich während seines überdurchschnittlich langen Aufendhaltes vielseitig nützlich. Die Tische abwischen, den Boden fegen, Stühle hochstellen, drei mal täglich, bringt als gemeinnützliche Arbeit in der Stunde 2,-Mark ein. Wenn er dann aber vom Tanklöschfahrzeug den Motor auseinander nimmt und repariert, dann fängt der eine oder andere doch an zu staunen. Bescheiden und hilfsbereit, selbstbewusst, stolz, intelligent und unauffällig , - das waren wohl seine wichtigsten Merkmale. Er hatte zwei große Nierensteine, die ihm stationär im Krankenhaus zertrümmert wurden. Die Behandlung war sicher nicht billig, er ist nun gesund, hat sich ein altes Auto mit Anhänger gekauft. Mein Kommentar dazu:" ....... viel Glück Nico ....." .

Seit ich diesen Job habe interessieren mich die Schicksale der mir anvertrauten Menschen. Dass sich die Wirklichkeit, die Wahrheit oft himmelweit unterscheidet von den Dingen, wie sie in den Akten stehen, das ist aus meinen Aufzeichnungen unschwer zu entnehmen. Seit ich hier arbeite sammle ich beim Aufräumen der Zimmer die "amtlichen Protokolle" die den Abschiebehäftlingen, den Asylbewerbern ausgehändigt werden, ein und lese mir mit Vorliebe die Übersetzungen vom Asylantrag, von der Begründung durch. Immer wieder stelle ich fest, dass die Bewerber offen ihre wirtschaftliche Notlage schildern und den Willen in Deutschland durch Arbeit zu Wohlstand zu gelangen. Das aber schließt Asyl aus, denn das wird nur dem gewährt, der direkt von seiner Heimat über die Milchstraße in der BRD landet. Sobald er von einem der Nachbarländer und somit über ein Land einreist, in welchem schon Demokratie ist, der bekommt kein Asyl.