Mit Bertrams Hilfe hatte ich einen Termin beim Geschäftsführer einer Firma, die Bäcker mit allen Rohstoffen beliefert. Bertram ist der Mann meiner Patentante. Es war also schon alles abgesprochen, als ich mit leichter Nervosität und großer Neugier das Betriebsgelände in Westberlin, in Reinickendorf betrat. Freundlich, immer wieder freundlich und korrekt ging man mit mir um. Das ist der bis heute gebliebene Eindruck meiner Zeit in dieser Firma. Mit 46 Jahren kein Jüngling mehr, aber auch ein Selbstvertrauen, welches sich kaum mehr zu überbieten ließ.
Von Größenwahn kann man in diesem Zusammenhang sicher nicht sprechen, denn "was ist das schon ein Kraftfahrer?". Antworten kann nur, wer da sich auskennt. Schon nach wenigen Tagen, eigentlich schon nach Stunden, wurde mir bewusst, wie sehr ich mich "zusammenreißen" muss, um eine einigermaßen "gute Figur" zu machen. Das alles ahnte ich noch nicht, als beim Einstellungsgespräch harmlos gefragt wurde, ob ich schon mal mit einem LKW durch Berlin gefahren sei und ob ich es mir zutrauen würde auch mal einen Sack Rohstoffe für Bäcker abladen könne? Hätte ich gewusst, was für ein "hartes Brot" das ist, dann währe ich etwas vorsichtiger mit meiner Antwort gewesen- hätte den Job vielleicht auch nicht bekommen. So aber sagte ich treuherzig "na klar traue ich mir das zu" und hatte den Arbeitsplatz. Für drei Monate auf Probe und ein halbes Jahr keine Bezahlung der Leistungsprozente.
Hört sich mein Vortrag etwas weinerlich an, dann beschreibt das noch lange nicht mein Gefühl in den ersten Tagen, Wochen, Monaten, Jahren. Ich erkannte schnell auf was ich mich da eingelassen hatte. Mein erster Tag zeigt mir deutlich. Bin zu 06oo Uhr verabredet, komme natürlich gut 20 Minuten früher und stelle verdutzt fest, dass ich fast der Letzte bin. Händeschütteln, dann drückt mir Jemand die Autoschlüssel in die Hand und sagt, dass es schon beladen ist, es nur eine kleine Fuhre ist und dass mein Beifahrer die Route gut kennt, also macht es gut. Ich stolpere raus in den recht dunklen Hof, suche das Auto, schließe es auf und versuche mich im Dunkeln im Führerhaus zu orientieren. So ein Ding noch nie gefahren. Mein Beifahrer ist ungarischer Abstammung, spricht ein anderes Deutsch. Er betont einige Silben falsch, so dass ich ihm manchmal gedanklich nicht folgen kann. Einfach gestartet und losgefahren, nach dem ich den Lichtschalter und Blinker erkannt hatte. Die Gänge "hakelten" hin und wieder, dann war ich gerade so schön in Fahrt und die nächste Ampel natürlich rot. Aufregung und Nervosität vielen ab von mir. Ich musste mich sehr konzentrieren, denn im Grosstadtverkehr drängeln viele Autos, fahren bis auf Zentimeter seitlich zu mir ran, - denn sie können ja alle nicht wissen, das dass heute mein "erster Tag" ist. Eines war mir völlig klar , - wenn ich gleich in der ersten Zeit einen Unfall habe, dann "........ ist die Sache gegessen!".
Nach wenigen Stunden merkte ich, dass mein Beifahrer mich hin und wieder versehendlich in die verkehrte Richtung lotste, oder manchmal selber nicht genau wusste wo der nächste Bäckerkunde, wie am günstigsten zu erreichen ist. Mit etwas Verspätung erreichten wir den Hof, wo meine Kollegen schon ihren Arbeitstag "auswerteten". Ich hatte nichts, worauf ich mir was einbilden konnte, ich wusste teilweise noch nicht mal genau wo ich gewesen bin ,- also hielt ich den Mund, gab Obacht wer wann nach Hause, bzw. unter die Dusche ging und verschwand. Interessant ist im nachhinein, wer von den Kollegen mir wann, wie, warum aufgefallen ist. Man sagt dass der erste Eindruck immer der richtige ist, aber diese Meinung kann ich nicht bestätigen. Gerade wer mit gewichtigen Gebärden lautstark in Erscheinung tritt denkt er wird von der Abteilungsleitung stärker beachtet, das stimmt nur wenn zum "großen Maul" auch die Leistung stimmt. Die Leistung wieder hängt ab, wer mit wem auf welchem LKW fährt, welche Touren, ob viele Kellerkunden, oder ob Abstellkunden in kurzem Umkreis zu bedienen sind. Auch das Wetter, das menschliche Klima in dem jeweiligen Bäckereibetrieb, ob im Ostteil von Berlin, oder in Westberlin, ob Bahrzahler oder Überweisender, Routine der Ausfahrer, Baustellen, enge Straßen, zugeparkte Ecken, Defekte am LKW, oder vom Lager dazwischen geschummelte beschädigte Verpackungen der Ware, - das alles und die "tägliche Form" der Auslieferungsbesatzung, sind entscheidend für den täglichen Erfolg.
Sporadisch greife ich mal etwas heraus. Für einen der immer im Osten gelebt hat, sind das die West-Bäcker. Ein Vorurteil oder Komplex lasse ich mir nicht einreden, - aber die verschiedensten Typen sind mir begegnet und wenn ich davon ausgehe, dass mein Urteil über einen Anderen kaum eine Rolle spielt, so muss ich doch sagen, dass der überwiegende Teil davon von mir mehr als "mies" eingeschätzt wird. Einige (west) Betriebe, ich schätze, das war dort, wo gutes Geld verdient wurde, da ging alles schnell und reibungslos, bei anderen, kleinen Betrieben, da hatte ich manchmal den Eindruck, dass der "doofe Lieferant" schon erwartet wurde, damit endlich mal einer da war, der von noch "niederer" Herkunft ist ,- wo man endlich mal seinen Frust und seine Unzufriedenheit mit dem Leben loswerden konnte. Wenn man dann in, wie so vielen Fällen, sich nicht vom schicken Laden täuschen lässt, sondern die schmuddlige, staubige Backstube sieht und dann noch in den Keller mit vielen Kartons muss, dann bekommt man automatisch den Blick für den Herrn Meister.
Die hohlen Sprüche und das hin und wieder bornierte Benehmen täuschen nicht darüber hinweg wessen "Geistes Kind" sie sind. Es grenz auch an Schikane, wenn unter anderem der Herr Meister erst 20 Kartons Butter sich in den Keller bringen lässt, dann auf den Papieren reklamiert, er hätte eine andere Sorte bestellt und ich die Pakete gleich wieder mitnehmen soll. Bei meinem etwas zurückhaltenden Protest kommt die Antwort, dass ich dann den ganzen Kram wieder mitnehmen kann. Mit ständig freundlich und korrekter Begrüßung habe ich auch solche Situationen klar gemeistert. Der Schweiß läut in Strömen runter, aber immer "guten Mutes" die ausgetretenen, schmierigen Treppen rauf und runter. Da muss ich die ausgesprochen netten, akkuraten Bäcker erwähnen, wo der Laden läuft. Da kommt es gar nicht auf ein "Trinkgeld" an, da herrscht Ordnung und Sauberkeit, da ist das Klima in der Backstube in Ordnung. Eine Freude den Kunden zu bedienen, da bemüht sich der Lieferant auch sauber und schnell seine Arbeit zu vollenden. Kommen wir noch zu den Bäckern im Ostteil von Berlin. Alt eingesessen mit Laden und einigen Verkaufswagen in Bahnhofsnähe. Kein Problem mit dem bestellten Waren, akzeptieren auch mal ein ähnliches Produkt und erzählen auch mal „einen Schlag", sind etwas offener. Kommen Probleme mit dem Bezahlen, läutet es schnell zur letzte Runde , oder der Kredit wird erhöht und dadurch der Spielraum größer. In der Regel ist das die Stunde der Verkäufer für neue Maschinen. Die sehr teuren Geräte erleichtern leider nicht nur die Arbeit der Bäcker, sondern erleichtern auch die Geldbörse und erhöhen das unternehmerische Risiko. Es gibt sie noch, die Backstuben mit den Uraltgeräten darin.
Die ersten Tage und Wochen glaubte ich nicht, dass ich lange durchhalten würde. Weniger der Straßenverkehr und Stress mit der Zeit, Ortskenntnis, sondern das ewige Schleppen von Zucker, Salz, Margarine usw. fiel mir so schwer. Die Erniedrigungen kommen dazu und das Wetter, Hitze, Regen, Schnee, Glatteis, Schnee. Nicht vom Schnee geräumte Bürgersteige , wo der Rollbehälter stecken bleibt. Jeden Morgen mindestens 30 Minuten früher auf Arbeit sein, denn ein paar Minuten früher unterwegs kommt man schneller durch den früh einsetzenden Berufsverkehr. Nach einem Monat hatte ich langsam den Dreh raus, das Kreutz tat nicht mehr so weh und ich wurde abgelöst, konnte auch als Beifahrer mitmachen, bis wieder durch Krankheit, besondere Feiertage wo vielmehr Wahre geliefert werden musste, ich mal dieses oder jenes Fahrzeug fahren musste. Auch kam es vor, dass feste Touren mit zwei LKW an einem Tag gefahren wurden. Ich machte was verlangt wurde, war aber bestrebt auf feste Touren zu kommen, damit sich Routine einstellen konnte. Bei der schweren Arbeit sollte man meinen, dass die Kollegen solidarisch sind, aber weit gefehlt. Es herrschte ein ewiger Kleinkrieg um Kunden, die Trinkgeld geben, um Touren wo nur abgestellt werden brauchte, um mit leere Behälter abgestellte Fahrzeuge, die noch hätten beladen werden können. Kleine Machtkämpfe wo eine Beule am Fahrzeug schwer angekreidet wurde.
Neid und Missgunst gepaart mit Übertreibungen. Empfindlich war aber kaum ein Kollege, so dass man sich immer wieder vertrug. Mir persönlich gefiel nicht, dass so mancher Tourenplan mit dem Schichtleiter beim "Sechserpack" Bier umgestoßen wurde. Eine "schmierige" Art, zu der ich kein Zugang finden wollte. Mein Verhängnis war die mangelnde Ortskenntnis und das Ausweichen der eigentlich fälligen Streitgespräche zu Feierabend. Ich war auch nicht gewillt mir den ganzen Tratsch erzählen zu lassen. So schnell wie möglich meine Kunden für den nächsten Tag laden und ab nach Hause. So verschieden wie meine Kollegen waren, so hatten sie eigentlich Eines gemeinsam. Wenn sie nach Hause gingen, waren sie alle fix und fertig. Das sah ich, wenn dann ein Kollege sehr lange unter der Dusche stand und wie in Zeitlupe sich anzog. Wenn ich mit dem einen oder anderem Kollegen mal zusammen Touren abfahren musste, kamen wir automatisch ins Gespräch. Von meinem Standpunkt aus, war es schon erstaunlich, was jeder erzählte. Was wichtig und erzählenswert erachtet wurde. Angefangen von der Lebensgeschichte, Sex und Saufen, war alles vertreten. Mich interessierte manchmal der Lebensweg und die Gedanken des einzelnen zur nahen und ferneren Zukunft.
Ein etwas "rechtsradikal" einzustufender Kollege der aus der DDR geflüchtet war gab offen zu dass sich seine Träume im Westen nicht erfüllt haben. Er bedauerte sogar, dass diese DDR so "sang und klanglos" untergegangen ist. Viele Dinge im sozialem Bereich hätten in veränderter Form beibehalten sollen. Das ist für mich eine akzeptable Meinung. Sympathie und Antipathie für Kollegen waren früher für mich nicht so wichtig. Jetzt begann ich Nerven zu zeigen, versuchte auch mal den anderen aus dem Wege zu gehen. Auf jeden Fall nicht auffallen war meine Devise. Die hin und wieder schwere körperliche Belastung machte mich in so fern empfindlich, da nach einem Arbeitstag mit komplizierten Einzelheiten, Kritik besonders schmerzt. Es gibt dann immer noch einen Kollegen der es "mit dem Mund" viel schneller gemacht hätte. Dieses sich gegenseitig "ausstechen" wurde von den Schichtverantwortlichen weidlich ausgenutzt. Am Schluss zählte nur das Ergebnis und das konnte nur ein leeres Auto sein und so früh auf dem Betriebshof erscheinen, damit für den nächsten Tag vorgeladen werden kann. Somit wusste man Bescheid, wie der nächste Tag so in etwa ablaufen wird. Dieses Kapitel mit der Auslieferungsfirma ist nach gut zwei Jahren abgeschlossen gewesen. Den Umzug der Firma zum neuen Standort benutzte ich als Grund zum kündigen. Dass im Betriebsplan noch ein paar tausend Mark für mich raussprangen ist positiv. Das der Chef mir viel Glück wünschte war angenehm, aber noch wichtiger war mir, dass er mir sagte, dass ich jeder Zeit zurückkommen soll, wenn mir meine neue Tätigkeit als Sozialarbeiter nicht gefällt. Er habe immer Verwendung für mich.