Erinnerungen von der Trassenzeit, dann die Wende in der DDR und persönliche Katastrophen kommentiert aus meiner unmaßgeblichen Sicht und ohne jemanden wehe tun zu wollen, denn vielleicht sind alle anderer Meinung , - was mich aber auch nicht sehr stören würde. Multi - Kulti als Erlebnisbericht eines Betroffenen mit nicht nur guten Erfahrungen und deshalb nicht gut verstanden , aber immer das Positieve im Auge habender.

Die "Drushba -Trasse", so wie ich sie erlebte. (1976 und so weiter...... ,nur was mich angeht....) Es gibt keinen besonderen Grund für meine Zeilen, nur dass es schade währe, wenn die offizielle Darstellung des kommunistischen Jugendverbandes der einzige Beleg bleiben würde, für eine Sache die in der Geschichte der DDR erwähnenswert sein dürfte. Es geht um die Erdgastrasse Uhrengoi bis Bar, ein sozialistisches Integrationsvorhaben der sozialistischen Bruderländer Polen, CSSR, sowie Anschlussmöglichkeiten für andere europäische Länder der NSW (nicht sozialistische Länder der Welt. Ich beginne einfach und ergänze dann meine Erzählung mit den nötigen Details der Vorgeschichte um diese Zeit, die heute der Geschichte angehört, auf meine Weise zu beleuchten. In wie weit ich von der Wahrheit abkomme kann ohnehin nur Jemand begutachten, der selber dort gearbeitet hat. Erinnerungen sind Fakten, die je nach Betrachtungsweise, undeutlich bis glasklar sind. Der Standpunkt, von dem man sie betrachtet, lässt die Erinnerungen interessant, wichtig oder unwichtig erscheinen. Sich an etwas zu erinnern birgt immer die Gefahr in sich, nur das Schöne, Angenehme wieder geben zu wollen und das was schlecht und peinlich war, wird verdrängt, vergessen. Ehrlich sein ist schwer, denn die Angst vor Schadenfreude ist groß. Die Schadenfreude auch eines noch so oberflächlichen Menschen kratzt sehr am Selbstvertrauen. Sich vor anderen zu offenbaren, sich Blößen zu geben, ja vielleicht sogar Anhaltspunkte zu liefern, die gegen einem verwendet werden könnten, grenzt an Dummheit. Ich versuche es trotzdem mal.

Daß ich es mal aufschreiben würde, daran habe ich nie gedacht, als ich mit seltsamen Gefühlen im Flugzeug saß. Es war schon nach 22oo Uhr, die Richtung in die es ging war Kiew. An die 1OO vorwiegend junge Leute, die wahrscheinlich, genau wie ich, das erste Mal zur Arbeit nach Kremenshug, in der UdSSR, unterwegs waren. Fast alle trugen den blauen Anzug, welcher Jeans-Klamotten nachempfunden war, der uns zu 1OO% als "Trassenbauer" identifizierte. Bei der Gelassenheit auf einigen Gesichtern dachte ich mir, das sind schon "alte Hasen", die kennen sich aus. Im Großen und Ganzen herrschte eine ansteckende Ausgelassenheit vor, der auch ich mich nicht entziehen konnte und wollte. Wer weiß schon wo es hin ging und wie es uns die nächsten drei Monate dort ergehen würde? Vom Gedanken auf Auslandsmontage zu gehen und der Moment bis es so weit war, hatte in meinem Fall gut ein Jahr gedauert. Jetzt saß ich hier ohne ein mir bekanntes Gesicht und ein paar Zweifel kamen hoch, ob ich das auch "packe?“ Aber ich beruhigte mich schnell. Was hatte ich schon zurückgelassen? Eine gescheiterte Ehe mit zwei Söhnen, meine Eltern, eine Freundin, ein paar Kumpels und ein Land, in dem es viel zu meckern gab. Sicher konnte jetzt alles nur noch besser werden!

In einigen Beurteilungen über mich steht "ruhig, zurückhaltend, kameradschaftlich, passt sich gut dem Kollektiv an .......", das bedeutete doch nur, dass ich ein "gutmütiges Schaf" bin. Nicht die Angst, sondern das Ungewisse, kitzelte unaufhörlich im Magen. Dann endlich die Landung in Kiew bei Dunkelheit. Abfertigung mit Reisepass in der Hand, immer schön in der Gruppe bleiben, das Gepäck zurück erhalten und gleich wieder aufpassen wohin es in welchen Koffer-LKW zu geben ist. Bus nach Kremenshug, nur nicht drängeln, Listenvergleich, bin ich hier richtig? Alles klar? Dann fahren alle Ikarus-Busse los. Der Tag bricht an, aus dem Grau bekommen die Dörfer schärfere Konturen. Alles so fremd, mein erster Eindruck war etwas deprimierend. Schlechte Straßen, weites Land, wenig Wald, offene Brunnen mit Eimer an einer Kette, oder Eimer an einer langen Stange. Die Frauen, egal wie alt, mit dicken Kopftüchern die Kühe treibend mit gleichmütigem Gesichtsausdruck nach uns den Kopf drehten. Wer konnte, machte lustige Bemerkungen, manchmal etwas boshaft und borniert.

Es wurde viel gelacht. Der Tag brach an, es wurde alles immer heller und freundlicher. Nach ein paar Stunden Fahrt fuhren wir endlich ins Wohnlager der DDR-Trassenbauer ein. Treffpunkt vorm Essensaal, mit Sack und Pack, kurze Begrüßung, Einteilung, Ablaufpläne dargelegt. Ich gehörte zu FGLB, das heißt Ferngasleitungsbau Engelsdorf (bei Leipzig). Alles klar, welche Baracke? Vielleicht kenne ich dort schon Jemanden? Essen gehen, Kontakte aufnehmen, unter die Dusche und das Wochenende genießen! Aber die Wohnzellen waren belegt, deshalb rein in einen Wohnwagen. Auf das Leben in einem Wohnwagen war ich nicht gefasst, denn das kannte ich von der Probezeit im Inland. Meine neuen Arbeitskollegen beeindruckten mich durch ihr lässiges Verhalten und pausenlose witzige Bemerkungen und die gütige, gutmütige Nachsicht mit den Neuen. So bekam ich Gelegenheit langsam hineinzuwachsen in die mir total Neue Welt der Trassenbauer. Die Anforderungen an mich stiegen langsam. Feierabend nach 1O Stunden Arbeit war fast jeden Tag für viele gleich. Es wurde "gebechert". Wer viel vertragen konnte der war gut dran. Das Kennenlernen und klöhnen" beim Wodka (damals kostete der 1/2 Liter nur 4,12 Rubel 1 Rubel=3,2O Mark) machte mir bald sehr zu schaffen. Deshalb setzte ich mich ab. Wollte die Umgebung die Stadt, die Leute kennenlernen, möglichst mit Gleichgesinnten.

Leider waren die neuen Arbeitskollegen vom Suff nicht weg zu kriegen, deshalb machte ich mich zu Fuß auf den Weg in die nahe Stadt Kremenshug. Ich erinnere mich noch gut daran. Diese gut drei Kilometer, zuerst durch das Dorf Pishanje mit teilweise unbefestigten Straßen, die zu mit Bistum belegten Straßen wurden, Gehöfte, immer Richtig Zentrum, vorbei an Betrieben mit Umzäunungen aus Betonteilen, Häuser unverputzt, mit Wellasbestplatten gedeckt, dann gemauerte Wohnblöcke mit 5 Etagen, auch in Plattenbauweise mit Balkone im Eigenbau "abenteuerlich" verkleidet, verglast, meist blau oder grün gestrichen. Die Menschen waren etwas anders bekleidet, mit Fellmütze, leicht nach einem Gemisch aus süßlichen Parfüm (Rosenöl) und Knoblauch duftend. Für mich alles wahnsinnig interessant.

Ganz kurz beschrieben ist Kremenshug eine große hügelige Stadt am Fluss Njeper über den eine mehrere Kilometer lange Brücke führt, die auf zweiter Etage auch von Eisenbahnzügen befahren wird. Am Njeperstrand mitten in der Stadt befindet sich ein herrlicher Badestrand. Sehr viel Auto- und LKW-Verkehr, ein Gewimmel von Leuten am Tage, alles sehr lebendig und laut und durch die mir fremde Sprache und Schrift ungewohnt, aber nicht unsympathisch. In meinem blauen Anzug als ausländischer Bauarbeiter identifiziert, wurden alle meine Aktivitäten von den Einheimischen interessiert beobachtet. Ich bemühte mich nicht aufzufallen, fand schnell andere deutsche Bauarbeiter und trottete mit. Wusste schnell Bescheid wo es etwas Besonderes zu kaufen gab. Samowar, Buratino, Kaffeemaschine und Werkzeug waren bevorzugte Artikel die neben Schallplatten von den Rolling Stones, Beatles und Elvis hoch im Kurs standen. Stehtanz in einer Art Jugendklub wurden ausprobiert, genauso wie die Sensationen auf dem Wochenend-Basar, wo viele mir unbekannte Dinge, wie Früchte aus Grusinien, Armenien, auch alter Trödel, der mit wichtiger Miene angeboten wurde. Zigeuner bieten selbstgefertigte Knotenketten an, es liegen alte Naben vom Fahrrad, rostige Nägel und irgendwelche Ersatzteile von Fahrzeugen rum. Man brauchte nicht zu fragen, denn natürlich war das Teil immer von bester Qualität und Defizit.

Meine Eindrücke sammelte ich allmählich, in der so knappen Freizeit. Die Erzählungen meiner Kameraden blieben spottend über die unverständlichen Dinge im Leben der ukrainischen Bevölkerung. Eine deutsche Buslinie brachte uns spät Abends ins Lager zurück. Ich fand das "auf Entdeckungsreise gehen" besser als sich "jeden Abend die Birne voll zu schütten“, war ja auch viel billiger. Mein Briefe nach Hause und zu den Freunden in der Heimat handelten fast ausschließlich von meinen Exkursionen. Im Laufe der Jahre änderte sich oft der Arbeitsort. Andere Lager, anderer Komfort, andere Vorgesetzte, innerhalb der Trassenzeit von FGLB zu PKM - Leipzig gewechselt. Die Arbeit war nie sehr kompliziert. Die Zeit, in der ich mit einem Werkstattwagen am linearen Teil zu tun hatte, brachte noch mehr Eindrücke und einen bescheidenen Überblick wie das Leben dort auf dem Lande, in den Dörfern sich von den Städten unterschied, mit sich. Ich lernte das Land und die Leute kennen. Es gab natürlich auch Dinge über die man sich belustigte. Nach etwa einem halben Jahr machte ich mir schon etwas mehr Gedanken über Lebensgewohnheiten, als der größte Teil meiner Kollegen.

Auf der Schweißbase in Swertlowodsk als Schweißerhelfer hatte ich Nähte zu verputzen, zu schleifen. Ahnschlägerarbeiten bei den Comatzu - Rohrlegekränen, Innenzentrierungsarbeiten bei den Rohren für die Schweißer, - jeder musste auf den Baustellen alles machen. Obwohl ich als Kranführer angeworben wurde, dauerte es fast ein Jahr, bis ich auf einem Kran eingesetzt wurde. Ich nehme an, dass ich immer die in mich gesetzten Erwartungen erfüllt habe. Wenn ich von Erwartungen schreibe, muss ich zugeben, dass ich einiges nicht so gut geschafft habe. Als Schlosser konnte ich bald feststellen wo meine Grenzen lagen. Habe Kollegen kennengelernt, von denen ich vieles lernen konnte. Habe mir einige "Tricks abgelauscht" und wenn die Gelegenheit günstig war, dann war ich auch mal faul, aber nicht schlimmer als andere. Ich gehörte zum Durchschnitt und das reichte mir.

Jeder musste alles machen was anlag, es wurde selten gefragt wer einverstanden ist, deshalb gab es auch viele unzufriedene Kollegen, aber das Gro zog mit, begeistert und verständnisvoll für Nöte und Engpässe. So wurde auf der Schweißbase Swertlowodsk neben einem amerikanischen Fabrikat zum Zusammenschweißen von Gasleitungsrohren auch ein russisches Gerät aufgebaut. Die Innenzentriervorrichtung wurde von mir von Hand im Rohr geschoben, mit Hilfe von Spreizvorrichtungen, die über Elektromotoren gesteuert bzw. angetrieben wurden, beim Anpassen der Rohrenden, Elektrokabel an eine Kontaktplatte geschlagen, ging es los, bis ein Beobachter außen den Vorgang für gut befand. So kompliziert, wie ich es beschrieben habe war es nicht. Warum rede ich darüber? Da es keiner machen wollte, habe ich es gemacht.

Als ich später zur Schlosserbrigade wechselte, wurde die Arbeit leichter. Mit Kränen hatte ich erst im letzten Jahr dort zu tun. Eine kleine Episode möchte ich loswerden, noch aus der ersten Zeit, als ich im mobilen Wohnlager Glinz wohnte. Jeden Morgen fuhren wir mit den Ikarus - Bussen zur Schweißbase Swertlowodsk und nach 1O Stunden Arbeit wieder zurück, dann Abendbrot essen, "Birne vollgeschüttet“, schlafen, Tag für Tag das Gleiche. Deshalb habe ich mit noch zwei Kollegen den Busfahrer gebeten uns irgendwo, an einer Kreuzung vor einen Dorf, aussteigen zu lassen. Wir marschierten los und fielen natürlich gleich auf in unseren ledernen Arbeitsanzügen. Im nächsten Laden versorgten wir uns mit Alkohol in Form von Wein. Die Flaschen tranken wir gleich auf der Straße auf einem querliegendem Baum sitzend aus und wir konnten uns über mangelndes Publikum nicht beklagen. Es gesellten sich einige Männer zu uns, an dieser nicht befestigten Straße. Wir gaben "einen aus" und unterhielten uns mit Händen und Füßen mit ihnen. Anschließend wanderten wir weiter Richtung Zentrum, an einer kleinen Lenin-Statue vorbei zum "Kaffee" des Dorfes. Schon leicht "angefeuert" bekamen wir reichlich Wodka und bildeten den absoluten Mittelpunkt dort. Stühle wurden rangestellt und diskutiert und um so mehr wir konsumierten um so besser klappte die Verständigung. Eigentlich hatten wir Hunger, aber außer ein paar blau gekochten Eiern und Brot war nichts greifbar, ....... aber immer wieder Wodka. Bald drängte ich meine Kumpels zum Aufbruch, denn ich merkte schon die Wirkung. (Da steht die Straße auf und schlägt Dir ins Gesicht........ es entstehen die gefürchteten Asphaltflechten.) Wir trotteten los und an dem Laden wurde noch mal nachgetankt. Ein paar Vokabeln kamen zum Vorschein aus der Schulzeit. Ungelogen jeder verstand jeden, alles klar, keiner böse, aber bevor es dunkel wird wollten wir eigentlich wenigstens die Richtung nach Glinz haben, aber wir blieben weiter "kleben". Die Zeit verging wie im Fluge. Auf einmal musste ich feststellen, dass sich meine Kumpels abgesetzt hatten. Nur noch ein paar Männer aus dem Dorf saßen bei mir. Der eine, der mir besonders sympthisch war, dem machte ich irgendwie klar, dass ich unbedingt nach Hause muss. Aber er bedeutete mir ruhig zu bleiben, er bringt mich nach Hause nach Glinz, "Domoi". Das wieder war mir rätselhaft, aber ich vertraute ihm, was blieb mir auch weiter übrig, konnte so wie so nicht mehr laufen. Es kam mir bitter an und als ich beim Grübeln war, wie ich aus dieser Klemme komme, da brummte ein LKW SIL mit Milchbehälter neben mir und am Steuer winkte mir mein ukrainischer Kumpel zu. Er war vergnügt und nicht wesentlich nüchterner als ich. Unterwegs lasen wir meine beiden "treulosen "Kumpels auf, die dann bei einem Platzregen hinten drauf sitzend klatsch nass wurden. So sind wir gut gelandet. Nach diesem Abenteuer hatte ich jegliche Scheu vor den Einheimischen verloren. Ich begann Kontakte zu knüpfen, zu pflegen. Mit Erstaunen bemerkte ich, wie alte Fragmente der russischen Sprache aus der Schulzeit im Kopf wieder auftauchten. Es bildete sich ein bescheidener Sprachschatz. Wann immer es ging setzte ich ihn ein. Es machte mir immer mehr Spaß und klappte. Mit der Verständigung wuchs auch das Verständnis für die Leute. Ich stellte fest, dass sie genau so denken und fühlen wie wir.